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"Ich habe so manches angezettelt":
Herbert Schneider, Vater des "Zuffenhäuser Hirt", wird 90
Den „Zuffenhäuser Hirt“ als Symbol und Sympathieträger für den Stadtbezirk zu entwickeln, war Herbert Schneiders Idee. Daneben kümmerte er sich auch in zahlreichen Ehrenämtern ums schwäbische Brauchtum und dessen Pflege. Die Tage feierte Schneider 90. Geburtstag. Von Georg Friedel.
Knitze Kerle gedeihen ganz gut in Zuffenhausen. Ein im ganzen Stadtbezirk recht bekanntes Exemplar dieser Gattung heißt Herbert Schneider. Der langjährige Vorsitzende des Gebirgs- und Trachtenvereins Zuffenhausen feierte dieser Tage am 13. Mai seinen 90. Geburtstag im rosenumrankten Grün des heimischen Gartens. Weiß-blau und mit Sonne präsentierte sich der Himmel zu seinem runden Wiegenfest: „90 Jahre bist du heut, Herbert älles Gute, Gsondheit ond viel Freud“, sangen die Gratulanten im Kanon. Ein Schuhplattler, ein wenig Zitherspiel und ein Weißbier hätten auch noch perfekt dazu gepasst. Doch der 90-jährige Jubilar schnitt stattdessen auf Geheiß seiner besseren Hälfte Rita, die ihm bei seinen vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten stets unterstützte, drei Kinder mit ihm gemeinsam großzog und ihm ansonsten den Rücken freihielt, beim Gartenfest die verzierte Geburtstagstorte an.
Zurückziehen vom Vereinsleben und aus der Öffentlichkeit will sich der fidele Jubilar und Kümmerer in Sachen Heimatpflege und Volksmusik mit 90 Jahren noch nicht: „Es gibt Leut, die meinen, dass es ohne mich net geht“, sagt Schneider und fügt dann im Nachsatz auf schwäbisch noch hinzu: „Zu denen zähl ich mich selbst au.“
Heimat, Trachten, Tanz und Volksmusik
Mit Volkstanz, Schuhplatteln und Zitherspiel ist Schneider praktisch groß geworden. Er war im Landesmusikrat für die Volksmusik zuständig, engagierte sich im Trachtenverband. 50 Jahre waren gibt es nun auch schon das „Stuttgarter Saiten-Spiel“, das er seit 1975 leitet. Er war auch im örtlichen katholischen Kirchengemeinderat aktiv und setzte sich tatkräftig für die Ökumene ein. Rund 30 Jahre war er Vorsitzender des Gebirgs- und Trachtenvereins Zuffenhausen. In seine Zeit als Vorstand fallen auch die erste Erntedankveranstaltung und das Maibaum-Aufstellen. Auch das Osterbrunnenschmücken am Palmsonntag auf dem Zehnthof organisieren die Schneiders mit den anderen Gemeindemitgliedern und rührigen Zuffenhäusern alljährlich.
Den „Hirt“ hat er vom Wappen ins lokale Festleben geholt
Zudem arbeitete Herbert Schneider auch im heimatgeschichtlichen Kreis mit. Mit dem Mundartdichter Helmut Mattern, der vor etwa zwei Jahren verstarb, verband ihn eine enge Freundschaft. Sie traten etwa vierhundertmal gemeinsam auf. Es waren launige schwäbische Abende: Schneider spielte meist Zither und Mattern trug Mundart-Gedichte und Geschichten vor. Er habe in Zuffenhausen schon einiges „angezettelt“, formuliert es Schneider eher spitzbübisch als ernst. Damit meint aber nicht den einen oder anderen Lausbubenstreich aus seiner Kindheit oder Jugendzeit in Zuffenhausen. Stattdessen steht auf seiner „Angezettelt“-Liste ganz oben die Figur des „Zuffenhäuser Hirten“, die er Ende der 1960er Jahre neu zum Leben erweckt und von den örtlichen Fahnen herunter ins lokale Festleben Zuffenhausens geholt hat.
Schon Ludwig Uhland hat den ‚Hirt‘ in einer Ballade erwähnt
Dazu muss man vielleicht wissen: Der ‚Hirt‘ ziert neben Pflugschar und Mühlrad das Stadtbezirkswappen. Und er wird bereits in Ludwig Uhlands 1815 veröffentlichten Ballade „Die Döffinger Schlacht“ (1388) namentlich erwähnt. Der Zuffenhäuser Hirt‘ fungiert als eine Art Symbol für die Widerstandskraft der Bauern, Schäfer und Hirten, die sich schon damals gegen die Raubritter und die gierigen Forderungen der Lehnsherren und Fürsten zur Wehr setzten: „Das gemeine Volk hat es schon damals gewagt, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen“, sagt Dietmar Schneider. Er ist der Sohn von Herbert und tritt inzwischen als Vorstand im Trachtenverein Zuffenhausen in die ehrenamtlichen Fußstapfen des Vaters und schlüpft auch regelmäßig ins Hirten-Gewand zum Beispiel beim Fleckenfest und auch bei anderen festlichen Anlässen.
Schneider Senior berichtet wiederum, dass die Figur schon vor seinem Sohn er selbst und danach viele Jahre Helmut Mattern verkörpert habe. Schneider selbst hatte jedenfalls vor ziemlich genau 55 Jahren die Idee, die legendäre Gestalt des Schäfers aus vergilbten Geschichts- und alten Sagenbüchern zu befreien: „Ich habe den Zuffenhäuser Hirt von der Wappentafel auf die Straße geholt. Das war Ende der 1960er Jahre beim Roten Kinderfest. Damals war meine Tochter 4 Jahre alt“, erinnert sich der ehemals bei der Stadt Stuttgart beschäftigte Geometer aus Zuffenhausen. Damals begleitete Schneider selbst als Hirt verkleidet die Kindergruppe des Trachtenvereins beim Festumzug in Rot. Dieses erste Schäfer-Kostüm hatte noch sein Vater Alois aus dem Fundus des Staatstheaters mitgebracht: „Er war damals bei den Theater-Aufführungen für die Kostüme verantwortlich“, erinnert sich Schneider.
Ein Sympathieträger für Zuffenhausen
Eine geniale Aktion: In anderen Kommunen oder auch auf Landesebene werden teure Werbekampagnen – man denke nur an „The Länd“ - millionenschwer auf die Beine gestellt und Zuffenhausen besitzt schon ein halbes Jahrhundert lang praktisch für umsonst den ‚Hirt‘ als erfolgreichen und dauerhaften Werbeträger – auch dank Herbert Schneider.
Zu einer historischen Erfolgsfigur und einem Sympathieträger für Zuffenhausen wurde der „Hirt“ dann endgültig bei den Feiern zu „100 Jahre Stadterhebung Zuffenhausen“ im Jahr 2007. Im Archiv der Schäferstadt Markgröningen wurde nachgeforscht und hunderte Bilder gesichtet: Denn das neue Hirten-Häs sollte sowohl historischen Ansprüchen genügen als auch einen gewissen Wiedererkennungswert haben. Pünktlich zu den Veranstaltungen und zum Festakt im Jahr 2007 war alles fertig ‚geschneidert‘. Und alle fanden: Das passt perfekt zu Zuffenhausen!
Kindheit in schwerer Zeit
Großgeworden ist Herbert Schneider im 2. Weltkrieg. Als Kind musste er öfters beim Luftalarm seinen noch sehr kleinen Bruder in den Keller tragen: Einmal ging 10 Meter neben dem Elternhaus an der Hohenloher Straße eine Bombe nieder. Die Druckwelle und der Rumms der nahen Explosion beschädigte auch das Haus der Familie Schneider, so dass ein größerer Spalt in die vordere Hauswand gerissen wurde. „Ich konnte plötzlich mit meinem Vetter, der über mir wohnte, direkt durch einen Spalt in der Küchendecke reden. Richard, komm runter, dann gehen wir Kicken, habe ich hochgerufen“, erinnert sich Schneider. Mit viel „List und Drücke“ habe die Familie damals den Schaden am Haus notdürftig repariert und die Wand ans Gebäude gedrückt und alles wieder dranzementiert.
Mit Gottvertrauen und Geschick
Die Schneiders hat das zusammengeschweißt. Eigentlich sind alle in der Familie irgendwie auch fürs Gemeinwohl unterwegs: „Ich bin sehr dankbar, dass es so engagierte Familien in Zuffenhausen gibt“, sagt auch Bezirksvorsteher Saliou Gueye. Er reihte sich beim Gartenfest in die Schar der Gratulanten ein und überreichte Herbert Schneider als Dank ein Fläschchen vom städtischen Weingut: „Als ich hier anfing, hat man mich gebrieft, welche Familien in Zuffenhausen sich besonders engagieren und da tauchte ganz vorne der Name Schneider auf.“ Für Gueye steht außer Frage, dass sich die Schneiders schon immer mit viel Herzblut fürs Gemeinwohl im Stadtbezirk eingesetzt haben: „Wenn wir die Dinge gemeinsam angehen wollen, dann brauchen wir genau dieses Wir-Gefühl. Ein Stadtbezirk Zuffenhausen lebt vom gemeinsamen Handeln“, betont der Zuffenhausener Rathauschef.
Auch das Maibaumfest des Trachtenvereins gäbe es wohl ohne die Schneiders so nicht, betonte Gueye. Ein Team kräftiger Männer bringt den Maibaum jedes Jahr auf dem Zehnthof mit reiner Muskelkraft und mit Hilfe von Stützbalken und Seilen in die Senkrechte. Inzwischen organisiert dieses alljährliche Spektakel auch Herberts Sohn Dietmar: „Das ist ein Zuffenhäuser Gemeinschaftsprojekt. Da müssen viele Hände zusammenspielen“, betont Schneider Junior. Aber als Verantwortlicher habe er auch jedes Mal schlaflose Nächte, ob beim Aufstellen alles gut gehe: „Da muss man mit Gottvertrauen drangehen.“
Fotos: Bezirksvorsteher Saliou Gueye liess es sich nicht nehmen, Herbert Schneider persönlich bei einem Besuch zu seinem 90. Geburtstag zu gratulieren. Fotos: G. Friedel
